Rechtsrock in Staupitz: „Einer der wichtigsten Konzertstandorte in Deutschland“

Der ehemalige Gasthof in Staupitz ist regelmäßige Anlaufstelle für Neonazis. Seit 2008 fanden hier bereits 112 Konzerte statt. Warum das so ist und was dagegen getan werden kann – darüber diskutierten 40 Interessierte mit einem Experten an der Volkshochschule Torgau.

Die Rollläden sind in der Regel verschlossen. Nur ein paar Mal im Jahr herrscht Hochtrieb. Dann kündet auch Polizeipräsenz vor dem ehemaligen Gasthof in Staupitz davon, dass mal wieder ein Neonazi-Konzert stattfindet. Was geht hinter der abweisenden Fassade eigentlich vor sich? Der Politikwissenschaftler Steven Hummel aus Leipzig stand während einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung in der Volkshochschule Torgau Rede und Antwort.

Unter den 40 Interessierten waren auch der Torgauer Oberbürgermeister Henrik Simon sowie der Leiter des Polizeireviers Torgau Peter Labitzke. Hummel hat sich eingehend mit der Rechtsextremisten-Szene und speziell Staupitz befasst. Die Zahlen, die er präsentierte, ließen aufhorchen: Seit 2008 fanden in dem Lokal 112 Veranstaltungen mit geschätzt 25.000 Besuchern statt. 187 Bands traten auf, darunter auch einige, deren Musik indiziert ist. Das bedeutet, dass ihre Texte von einer Bundesprüfstelle aufgrund ihrer volksverhetzenden Inhalte als jugendgefährdend eingestuft wurden. In diesem Jahr waren es bereits fünf Konzerte, darunter allein drei im Juni.

„Staupitz ist einer der wichtigsten Konzertstandorte in ganz Deutschland“, sagte der Politikwissenschaftler Hummel. „Bis zu zehn Veranstaltungen im Jahr sind behördlich erlaubt. Der De-Facto-Freifahrtschein dürfte einmalig in Deutschland sein.“ Zu den Auflagen gehöre es, dass nicht mehr als 240 Besucher eingelassen und Lärmschutzbestimmungen eingehalten werden. Zudem müssten die Liedtexte zuvor beim Landratsamt zur Prüfung eingereicht werden. „Im Gegensatz zu Veranstaltungen an anderen Orten wurden in Staupitz noch nie Konzerte aufgelöst“, so Hummel. „Die menschenverachtende Propaganda kann dort ungestört verbreitet werden.“

Wie sicher sich die Veranstalter im Gasthof fühlten, zeige auch der Umstand, dass im Vorfeld oft T-Shirts für die Events produziert werden. Die Konzerte werden meist als „geschlossene“ oder „private“ Veranstaltungen deklariert. Die Gäste kämen nicht nur aus Sachsen, sondern auch aus anderen Bundesländern und sogar aus dem Ausland. Es handele sich zumeist um Männer mit gefestigtem, rechtsradikalen Weltbild, wobei die Altersgruppe der Ü-30-Jährigen überwiege. Die Konzerte dienten dazu, den Zusammenhalt zu festigen. „Sie sind zudem dazu geeignet, sich auszutauschen, zu vernetzen und neue Bündnispartner zu finden“, so Hummel. „Außerdem wird dort natürlich Geld verdient.“

In der Diskussion, die von Solvejg Höppner vom Kulturbüro Sachsen moderiert wurde, zeigten sich viele Besucher besorgt. Sie fragten, wieso niemand einschreite. „Wir haben das Problem, dass wir bei den Konzerten nicht reinkommen“, sagte Polizeichef Labitzke. „Die rechtlichen Möglichkeiten sind begrenzt.“ Grund sei ein Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig, dem zufolge nur anlassbezogene Kontrollen erlaubt seien. Oberbürgermeister Simon berichtete, dass die Stadt bis 2016 mehrfach versucht habe, den Betrieb des ehemaligen Gasthofs mittels formaler Vorschriften bezüglich Baurecht, Brandschutz und Hygiene zu erschweren. „Aber der Besitzer hat alle Auflagen immer sofort erfüllt.“ Er unternehme alles, um sich nicht angreifbar zu machen.

Ein junger Mann aus Staupitz konnte dies bestätigen. „Die Konzertbesucher hinterlassen immer alles sauber, begehen keine Straftaten und zahlen Steuern“, sagte er. Viele im Dorf würden das so sehen und hätten deshalb nichts gegen die Konzertaktivitäten. „Sogar meine Oma ist froh, dass im Dorf mal was los ist.“ Man sei besorgt darüber, dass Gegner „illegale Methoden“ – zum Beispiel Brandstiftung – anwenden könnten, um die Rechtsrock-Szene zu vergraulen. Mit dieser Meinung stand der Staupitzer an diesem Abend allerdings ziemlich allein. „Wenn dort volksverhetzende Inhalte verbreitet werden – warum darf man dann nicht eingreifen?“, wunderte sich die Grünen-Politikerin Claudia Kurzweg. Und Thomas Liegau, pädagogischer Mitarbeiter der VHS, warf ein: „Wenn Behörden Auflagen machen, können sie die doch auch kontrollieren.“

Hummel meinte, dass es wahrscheinlich sei, dass es bei den Konzerten zu strafbaren Handlungen komme (u.a. Volksverhetzung sowie Zeigen verfassungsfeindlicher Kennzeichen und Symbole). Ein älterer Herr beklagte das weit verbreitete „Desinteresse“ an den Vorgängen im Gasthof, das auch Hummel aufgefallen war. „Das wird so lange weiter gedeihen, bis es zu einer Gegenbewegung kommt. Dafür braucht es Aufklärung und Bildung.“ Ulf Podbielski (Linke) erinnerte an Versäumnisse aus DDR-Tagen: „Die Aufklärung über die NS-Zeit wurde massiv unter den Teppich gekehrt.“ Eine Zuhörerin ergänzte: „Es ist die Strategie der Neonazis, sich in Orten niederzulassen, in denen wenig gesellschaftlicher Gegenwind zu befürchten ist.“ Sie verwies auf das Beispiel Borna (Landkreis Leipzig): Dort hätten sich Neonazis nach Protesten von ihrem Vorhaben, dem Bau einer „Gedächtnisstätte“, zurückgezogen. „Es wurde ihnen einfach zu ungemütlich.“

Zu den Rechtsrock-Konzerten in Staupitz hat Hummel ein Dossier geschrieben. Erhältlich ist es über www.chronikle.org

von Silke Kasten